Kommentar: E-Fuel statt Elektro? Eine schwierige Entscheidung

Shell Renewable Diesel

In den Niederlanden bietet der Mineralölkonzern Shell jetzt an 13 ausgewählten Tankstellen „Renewable Diesel“ an. Auf den ersten Blick scheint der neue Wunderkraftstoff die Lösung für viele Nachhaltigkeitsprobleme in der Logistik zu sein. „Shell Renewable Diesel“ ist ein so genannter HVO-Diesel, er besteht aus Pflanzenabfällen und Altöl. Der Hersteller verspricht eine Reduzierung des Carbon Footprint um 90 Prozent gegenüber Lkw-Treibstoff aus Mineralöl. Zudem soll „Renewable Diesel“ sauberer verbrennen, die Kaltstartfähigkeit verbessern und den Motor sogar leiser machen. Und nicht nur Shell, auch andere Mineralölkonzerne arbeiten an Treibstoffen, die das „Mineral“ aus ihrer Firmenbezeichnung verbannen könnten. Es klingt zu schön um wahr zu sein.

Hat Volker Wissing recht?

Für Händler und Logistik-Dienstleister stellt sich mit dem Aufkommen von Treibstoffen wie HVO-Diesel oder GTL-Diesel (aus flüssigem Erdgas) die Frage, ob eine teure Umrüstung des Lieferfahrzeug-Fuhrparks auf emissionsfreie Elektro- oder Brennstoffzellenfahrzeuge überhaupt erforderlich ist. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte mit seinem Widerstand gegen ein generelles Verbot von neuen Verbrenner-Pkw in der EU ab 2035 eine breite öffentliche Debatte entfacht. Und letztlich hatte er Erfolg: Die aktuellen EU-Pläne sehen eine Ausnahme für solche Fahrzeuge vor, die nachweislich nur mit E-Fuels betankt werden können.

Doch der Blick auf diese Debatte gibt nicht das gesamte Bild wieder. Erstens soll das Aus für neue Verbrennungsmotoren ab 2035 in der EU nur Pkw und leichte Lieferwagen betreffen, über Lkw wurde noch nicht entschieden. Die EU-Pläne sehen jedoch eine schrittweise, drastische Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2040 auch bei schweren Lkw vor, die de facto das Aus für den Dieselmotor bedeuten würden. Und zweitens ist nicht jeder synthetische Kraftstoff ein E-Fuel, von dem Minister Wissing träumt.

HVO und GTL haben auch Nachteile

Die Begeisterung für GTL ist gesunken, seitdem der Krieg gegen die Ukraine den Rohstoff Erdgas drastisch verteuert hat. Und bei der HVO-Herstellung, so sagen Kritiker, kommen eben nicht nur ansonsten wertlose Pflanzenreste und Altöl zum Einsatz, sondern auch Palmöl, für dessen dessen Anbau häufig Regenwald abgeholzt wird. „Echter“ E-Fuel lässt sich aus CO2 und Wasser extrahieren, dazu braucht man aber Unmengen von Energie. Die, so argumentiert Wissing, könne man ja aus erneuerbaren Quelle gewinnen – und seine Kritiker wenden ein, dass diese erneuerbare Energie besser für das Aufladen von Elektrofahrzeugen verwendet werden sollte.

Auf der letzten Meile besser elektrisch

So verlockend, wie die neuen, „grünen“ Treibstoffe klingen: Für die City-Logistik spricht viel für eine grundsätzliche Abkehr vom Verbrennungsmotor, und zwar so schnell wie möglich. Denn elektrische Fahrzeuge bieten gegenüber den herkömmlichen Dieseln neben „Zero Emissions“ viele Vorteile: Sie sind leiser, wartungsärmer und haben keine Probleme mit extremem Kurzstreckenbetrieb. Auch in der Kostenbilanz werden E-Fahrzeuge immer attraktiver. Die langen Ladezeiten verlieren ihren Schrecken, wenn der Fuhrparkbetreiber Lademöglichkeiten in seinen Depots schaffen kann – dann fallen sogar die sonst nötigen Fahrten zur Tankstelle weg. Und innovative Lieferkonzepte wie Cargobikes werden – zum Glück – mit stinkenden Verbrennungsmotoren gar nicht angeboten.

Mangels Lade-Infrastruktur: HVO im Fernverkehr

Anders sieht die Situation im Fernverkehr aus. Zwar gibt es bereits erste elektrisch betriebene Lastzüge, die eine Praxis-Reichweite von 500 km versprechen – mehr als ein Fernfahrer ohne längere Pause fahren darf. Doch fehlt die Lade-Infrastruktur, um Lastzüge in großer Zahl unterwegs aufzuladen. Im Moment gibt es ja noch nicht einmal genügend Parkplätze, damit die Brummifahrer nachts in Ruhe übernachten können. Hier könnte „Renewable Diesel“ und ähnliche Treibstoffe eine interessante Brückentechnologie darstellen. Denn HVO-Diesel lässt sich nicht nur in jedem modernen Lkw problemlos verwenden, er kann auch über die heute bereits bestehende Tankstellen-Infrastruktur verteilt werden.

Die CO2-Bilanz im Blick

Auch für Händler, die zwar ihre CO2-Bilanz im Blick haben, aber gar keinen eigenen Fuhrpark betreiben, könnten synthetische Kraftstoffe eine Rolle spielen. Denn Logistik-Dienstleister werden nicht zögern, eine Reduzierung ihres Carbon Footprint durch HVO-Diesel und ähnliche Treibstoffe werbewirksam zu vermarkten. Wer den CO2-Ausstoß seines Logistikers in den eigenen Nachhaltigkeitsbericht einfließen lässt, könnte versucht sein, einen Dienstleister zu wählen, der mit Biodiesel fährt. Wie „bio“ dieser Diesel dann wirklich ist, das ist eine andere Frage.

Bildquelle: Shell NL

 

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